Das kann man schon mal sagen...

Offener Brief zu den AG Kino Screenings 2017@Berlinale

Arthouse 2017: Weniger ist mehr! Wir benötigen endlich effiziente Vermarktungsinstrumente!

Der Schwerpunkt meines diesjährigen Berlinale Aufenthaltes waren die AG Kino Screenings in den Hackeschen Höfen. Ich wollte gezielt Filme schauen, die bereits einen Verleih haben. 18 Filme sah ich mir während der Screenings an und nehme dies zum Anlass und als Grundlage einer Manöverkritik.

 

Ich vermisse Leidenschaft!

 

Ich vermisse Leidenschaft in der Arbeit bestimmter Arthouse-Verleiher und Leidenschaft in der Auswahl der Filme, die in unsere Kinos kommen. Ich stellte den Verleihmitarbeitern während der Screenings offen die Frage nach der Kinotauglichkeit einiger der gezeigten Filme und wie die Filme zum Kinostart vermarktet werden sollen. Aber die wenigsten scheinen für ihre Filme relevante Marketingideen und –instrumente zu haben! Warum ist es im Rahmen dieser Screenings vor ausgewiesenem Fachpublikum und Geschäftspartnern nicht möglich, mehr über Details und Strategie der geplanten Filmvermarktung zu erfahren?

Mir fehlen ganz massiv Inspiration und Knowhow aus den Reihen der Verleiher. Wie sollen die Besucher für dieses Kunstwerk angesprochen werden? Wie viele Touch-Points braucht der gezeigte Film, um Besucher neugierig zu machen? Das sind Fragen, die ich mir stelle und auf die ich in den meisten Fällen keine Antwort bekommen habe.

 

Der Habitus einiger Branchenvertreter im Verleih ist ein alarmierendes Signal.

 

Diese Verleihmitarbeiter verlassen verfrüht den Saal, gehen nicht auf die Kinobetreiber zu, bedienen sich lediglich altbekannter Marketing-Floskeln („Die Presse ist drauf angesprungen!“) und zeigen letztlich insgesamt Desinteresse an Inhalt und Vermarktung ihrer Produkte, die ja schließlich in gewisser Weise Kunstwerke sind. So wird ein Großteil der in Berlin gezeigten Filme zwangsläufig unter „ferner liefen“ in den Kinos chancenlos bleiben. Die meisten Arthouse-Werke 2017 werden kaum wahrgenommen werden und eine völlig unzureichende Anzahl an Besuchern finden, was auch betriebswirtschaftlich keinen Sinn macht. Man gewinnt vehement den Eindruck, dass einige Verleiher selbst von ihren Filmen nicht überzeugt sind.

„Was ist das für ein Film?“, „Worum geht es in diesem Film“: Diese Fragen stellen Besucher häufig bei mir an der Kinokasse, aber dort erhalten sie doch eigentlich zu spät eine Antwort. Die Beantwortung dieser Fragen ist die Aufgabe bei der Vermarktung eines jeden Films im Vorfeld seiner Veröffentlichung.

Als Kinobetreiber nehme ich die fehlende Informiertheit der Besucher zum Anlass, meine eigenen lokalen Kommunikationskanäle zu hinterfragen. Ist mein Trailering gut? Lesen die Besucher mein Print-Magazin? Ist die Plakatierung angemessen? Hören die Besucher meinen Podcast? Habe ich gute Kooperationen zu diesem Film bewerkstelligt? Gab es genügend Posts auf Facebook? etc.

Stellt sich ein Verleih diese Fragen? Übernimmt der Verleih eine Mitverantwortung für ein erfolgreiches Marketing? Immer seltener! Warum können Verleiher mit einem Verweis auf ein angeblich „aktuell nicht funktionierendes Genre“ oder auf einen „nicht zum Zeitgeist passenden Inhalt“ diese Verantwortung nachträglich von sich weisen? Frei nach dem Motto: War es ein Erfolg, war es gute Arbeit auf Seiten des Verleihs - bei einem Misserfolg liegt es dann aber ausschließlich an anderen Faktoren. Mir scheint zudem, dass Verleiher teilweise lediglich in den Ballungszentren marketingtechnisch Gas geben und alles andere nur halbherzig mit abdecken, um überhaupt noch von einem Bundesstart sprechen zu können.

 

Doch Alibimarketing kann nicht die Zukunft des Arthouse-Kinos sein!

 

Es braucht bereits in der Arbeit der Verleiher eine Vorstellung von einer optimalen, kompetenten Zielgruppenansprache für das zu vermarktende Produkt. Das Werk soll im Vorfeld bereits von möglichst vielen Interessenten wahrgenommen werden. Diese Interessenten zu Kinobesuchern zu machen, das ist dann unsere gemeinsame Aufgabe.

 

Wer hat eine in die Zukunft gerichtete Strategie des Arthouse-Kinos?

 

Filme in einer unüberschaubaren Anzahl zu starten, um dann zu hoffen, dass es in summa einigermaßen einträglich ist, funktioniert bereits seit Jahren nicht mehr. Hier bäte eine weniger breit gestreute Anzahl der bundesweit startenden Arthouse-Filme einfach mehr Möglichkeiten für ein zielgerichtetes Marketing für jedes einzelne Werk. Und wir reden hier auch über Marketing-Budget und Gesamtumsatz. Nicht in jedem Jahr gibt es einen „Star Wars“, der das Jahr umsatztechnisch kurz vor Schluss noch retten kann.

 

Warum wird Förderung nicht konsequenter am Erfolg gemessen?

 

Ich stelle auch offen die Frage nach dem Sinn des Fördersystems, wie es heute betrieben wird. Es scheint bei einigen Verleihern zum Geschäftsmodell geworden zu sein, über den regelmäßigen Zufluss von Fördermitteln den eigenen Betrieb aufrecht zu erhalten. Anders kann ich mir die Lustlosigkeit einiger Präsentationen während der Berliner Screenings nicht erklären.

 

Ein KAURISMÄKI, ein TIGER GIRL, ein MR. LONG oder der besondere PARADIES können nicht über das schwache Niveau der diesjährigen Screenings hinwegtäuschen.

 

Dies ist natürlich ein subjektiver und selektiver Eindruck durch meine persönliche Filmauswahl während der Screenings. Aber es geht auch um das präsentierte Portfolio in der Gesamtschau, um ein allgemeines Stimmungsbarometer. Nach dem wirklich nicht guten Jahr 2016 hätte ich mir diesmal endlich eine aktive, vor Selbstbewusstsein strotzende Veranstaltung in den Hackeschen Höfen gewünscht. Stattdessen traf ich oftmals auf Orientierungslosigkeit, ja Leidenschaftslosigkeit auf Seiten der Verleiher.

 

Und das ist kein Grund zur Häme, sondern zur Sorge.

 

Ohne eine engagierte Verleiharbeit fehlen die Werkzeuge für eine nachhaltige lokale Marketingarbeit. Die Vogelperspektive einzunehmen, die allgemeinen Marktgegebenheiten für einen Film zu recherchieren und dann eine nationale Strategie festzulegen, ist Hauptaufgabe des Verleihs. Meine Kinos arbeiten lokal hinzu, um dem Film in Gänze den dynamischen Marketingeffekt zu sichern, ohne den es heute nicht mehr geht. Was aber, wenn selbst der Verleih nicht so richtig mit dem Film „umgehen“ kann, wie soll ich als Kino die notwendige Markttiefe vor dem Hintergrund von viel zu vielen startenden Filmen erreichen und ein angemessen großes Publikum für jedes einzelne, wertvolle Werk mobilisieren?

Sich auf Presseerwähnungen bzw. -besprechungen zu verlassen, ist kein Marketing. Wer auf PR als Marketinginstrument setzt, muss sich nicht wundern, wenn ein Film an der Kinokasse vorbei besprochen wurde. Welcher Verleiher kann heute noch kompetent behaupten, dass eine Besprechung in einer Zeitung wirklich einen Hebel darstellt, um einen Kinosaal zu füllen. Verleih und Kino haben in der aktuellen Umgebung mehrere Herausforderungen zu bestreiten. Die klassischen Marketingkanäle funktionieren nur noch bedingt und reichen bei Weitem nicht aus, um die Marketingaktivitäten in die Richtung zu lenken, die wir als Branche benötigen, um auch langfristig relevant am Markt bestehen zu können.

 

Wir benötigen dringend den veränderten Marktgegebenheiten angepasste Marketingstrategien.

Liefert uns endlich durchschlagkräftige und durchdachte Vermarktungsideen und -werkzeuge!

 

Kontakt:

Mustafa El Mesaoudi

Rex Filmtheater Wuppertal

CINEMA Wuppertal

me@cinemawuppertal.de

Was können wir für euch tun?

 

dirk@cinevoluzzer.de